Schlaf, deine unterschätzte Superpower

Müde Menschen sind isolierter, weil sie mit dem Aufrechterhalten ihrer Energie beschäftigt sind. Trotzdem leben wir in einer Gesellschaft, in der Produktivität wichtiger als Erholung ist. Unsere Athleten sind übertrainiert und untererholt. Unsere Arbeitskräfte sind erschöpft und unproduktiv. Warum haben wir verlernt, uns zu erholen?

Mit dieser Frage habe ich mich beschäftigt und gleichzeitig über Monate meinen Schlaf optimiert. Die Wirkung? Ich brauche Ferien nicht mehr, um mich zu erholen. Stattdessen gehe ich in die Ferien, um zu geniessen und um die Welt zu entdecken. Klingt toll, nicht? Doch der Weg dahin war und ist mit Widerstand aus meinem Umfeld verbunden.

Wenn auch du das Gefühl hast, dass dir dein Schlaf wichtig ist und du noch besser schlafen möchtest, dann findest du hier ein paar Starthilfen dazu.

Du verpasst doch dein Leben!

Wenn ich abends weg bin, was zugegebenermassen selten vorkommt, bin ich meistens die Erste, die nach Hause will. Zum Einen deswegen, weil ich ab einem gewissen Zeitpunkt reizüberflutet bin. Zum anderen, weil mir mein Schlaf wichtig ist. Dann höre ich andere sagen: «Mit dir chamer eifach ned verhocke.» Oder: «Ja aber dann verpasst du ja dein Leben!» Das verstehe ich nicht. Denn Schlafen, also Erholung, gehört für mich genauso zum Leben. Zudem träume ich in der Nacht oft Dinge, die ich sonst nicht erleben kann. Wie zum Beispiel, dass ich unter Wasser atmen kann (ziemlich cool, übrigens). Meine Träume sind für mich darum eine wichtige, spannende Ressource, weil sie der direkteste Zugang zu meinem Unbewussten sind. Aber dazu ein anderes Mal. Schlafen ist für mich also sehr wichtig. Warum?

Mit gutem Schlaf lebe ich erst richtig

Früher, als ich meine Tochter noch nicht hatte, waren zwei bis drei Abmachungen pro Tag neben der Arbeit normal: Lunch, Abendessen, vielleicht noch Drinks. Ich erinnere mich, meist nach Mitternacht eingeschlafen zu sein und morgens kaum aufstehen zu können. Heute kann ich mir kaum erklären, wie ich dazu fähig war und glaube, das liegt nicht nur am zunehmenden Alter.

Seit meine Tochter auf die Welt kam, wurde es für mich normal, abends direkt mit ihr einzuschlafen. Seither hat sich mein Rhythmus vorverschoben. Es passiert oft, dass ich um 20.30 Uhr bereits schlafe. Was ist der Effekt davon?

  • Ich bin klar und fokussiert: Ich habe viel mehr Energie für meinen Tag und kann meine Energie auf das richten, was ich tun will und muss. Ich erreiche seither meine Ziele schneller.

  • Ich bin im Alltag erholt: Ich brauche nicht oder selten das Wochenende, Ferien oder Auszeiten, um mich von strengen Pensen meiner beiden Firmen und meiner Verantwortung als Mutter zu erholen.

  • Ich bin selten krank. Beispielsweise kann ich mich nicht erinnern, dass ich dieses Jahr krank war.

Gesamthaft glaube ich, dass ich durch guten, konsistenten Schlaf viel zufriedener bin, auch wenn mir bewusst ist, dass meine Zufriedenheit von vielen weiteren Faktoren abhängt. Doch glaube ich, dass ich mit gutem Schlaf bei jedem einzelnen Tag eine viel bessere Grundlage habe als ohne. Denn:

Müde Menschen sind isolierter, weil sie mit dem Aufrechterhalten ihrer Energie beschäftigt sind. Trotzdem leben wir in einer Gesellschaft, in der Produktivität wichtiger als Erholung ist. Unsere Athleten sind übertrainiert und untererholt. Unsere Arbeitskräfte sind erschöpft und damit nicht produktiv. Warum haben wir verlernt, uns zu erholen?

Möglichkeiten zur Erholung gibt es viele. Schlaf ist meines Erachtens die, die am meisten auf deine Gesundheit und Energiebilanz einzahlt.

Was gibt dir guter Schlaf?

Guter, konsistenter Schlaf hat zahlreiche Vorteile für deine körperliche und mentale Gesundheit. Hier sind die wichtigsten psychischen Benefits:

  • Konzentration und Aufmerksamkeit: Schlaf verbessert die Fähigkeit, dich zu fokussieren und effizient zu arbeiten.

  • Gedächtnis und Lernen: Während des Schlafs konsolidiert das Gehirn neue Informationen und verbessert deine Problemlösungsfähigkeit.

  • Kreativität: Guter Schlaf fördert kreatives Denken und die Fähigkeit, neue Ideen zu entwickeln.

  • Stimmung und emotionale Stabilität: Schlaf hilft, emotionale Reaktionen zu regulieren, und kann Angst und Depression lindern.

  • Stressbewältigung: Ausreichender Schlaf macht resistenter gegen Stress und fördert Gelassenheit, weil du dann weniger Kortisol ausschüttest.

Natürlich gibt es auch zahlreiche körperliche Vorteile durch guten Schlaf. Hier einige davon: 

  • Stärkung des Immunsystems: Während des Schlafs produziert der Körper Zytokine, die für die Abwehr von Infektionen und Entzündungen wichtig sind.

  • Herzgesundheit: Schlafmangel kann das Risiko für Bluthochdruck, Herzkrankheiten und Schlaganfälle erhöhen.

  • Hormonregulation: Schlaf unterstützt die Balance von Hormonen, wie z. B. Insulin und Stresshormonen, und beeinflusst den Stoffwechsel.

  • Muskel- und Gewebsregeneration: Während des Tiefschlafs werden Muskeln repariert und das Gewebe regeneriert.

  • Ausdauer und körperliche Fitness: Schlaf unterstützt sportliche Leistungsfähigkeit, indem er die Erholungszeit verkürzt und die Koordination verbessert.

  • Appetitregulation: Schlafmangel führt zu einem Ungleichgewicht von Ghrelin (Hungerhormon) und Leptin (Sättigungshormon), was Heisshunger begünstigen kann.

Studien zeigen, dass Menschen mit regelmässigem, qualitativ hochwertigem Schlaf eine höhere Lebenserwartung und ein geringeres Risiko für chronische Krankheiten haben. Konsistenter Schlaf ist daher eine elementare Grundlage für Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Die Priorisierung deines Schlafs sollte daher ein zentraler Bestandteil eines gesunden Lebensstils sein.

Gut, also wir sind uns hoffentlich spätestens hier einig, dass Schlaf wichtig ist. Wie kannst du nun deinen Schlaf optimieren?

Analysiere deinen Schlaf und desillusioniere deine Annahmen dazu

Mein erster Schritt war, meinen Schlaf zu analysieren und meine Muster zu verstehen, um gezielt darauf einwirken zu können. Also habe ich begonnen, meinen Schlaf zu tracken. Dazu nutze ich das Wearable Whoop. Allerdings hat ein solches Tracking nebst den Vorteilen auch zahlreiche Nachteile, die du berücksichtigen solltest.

Der grosse Pluspunkt ist die Möglichkeit, Schlafmuster detailliert zu analysieren und ein besseres Verständnis für die eigene Schlafqualität zu entwickeln. Dies kann helfen, gezielt Gewohnheiten anzupassen, etwa durch die Optimierung von Ernährung, Bewegung oder Abendroutinen. Besonders nützlich ist die Verknüpfung von Schlafdaten mit der Regeneration, etwa durch Messung der Herzfrequenzvariabilität, wodurch individuellere Empfehlungen möglich werden. Zudem können Wearables Anomalien wie anhaltend schlechten Schlaf aufzeigen und so auf gesundheitliche Probleme hinweisen.

Allerdings solltest du die Grenzen der Technologie im Blick behalten. Die Daten basieren oft auf Herzfrequenz und Bewegung, was bei Schlafphasen oder besonderen Störungen wie Schlafapnoe nicht immer präzise ist. Ausserdem kann das ständige Kontrollieren der Ergebnisse zu Stress führen, vor allem, wenn der Schlaf als «nicht gut genug» bewertet wird. Das ständige Überprüfen der Schlafdaten kann zu Schlafstress führen, auch bekannt als «Orthosomnia» – die Angst, nicht gut genug zu schlafen. Eine zu starke Fokussierung auf Zahlen kann die Intuition für das eigene Wohlbefinden beeinträchtigen. Auch Datenschutz und Kosten sind potenzielle Nachteile, die bedacht werden sollten.

Insgesamt ist Schlaf-Tracking sinnvoll, wenn es als Werkzeug zur Verbesserung von Gewohnheiten und zur Förderung der Gesundheit eingesetzt wird – allerdings ohne Perfektionismus oder übermässige Abhängigkeit. Letztlich zählt, wie erholsam der Schlaf subjektiv empfunden wird.

Als ich mich damals entschied, einen Tracker einzusetzen, habe ich daher mit mir vereinbart, dass mein Gefühl der Schlafqualität oder der Trainingsintensität und -frequenz immer wichtiger als das bleibt, was mein Tracker meint.

Nach zirka zwei Jahren Tracking habe ich es geschafft, meinen Schlaf zu optimieren. Nicht für die 100%-Statistiken. Sondern für mein Gefühl. Mir hilft mein Whoop dabei, Annahmen wie beispielsweise «Ich schlafe pro Nacht acht Stunden» zu hinterfragen, weil meine Erkenntnis ist, dass wir meist die Anzahl Stunden, die wir im Bett liegen, mit Schlaf verwechseln.

(Hier siehst du meine Stats: Zum ersten Mal habe ich es geschafft, einen Sechsmonatsschnitt von 100% zu erreichen.)

Auch hilft mir mein Tracker mit Konsistenz. Denn es sind gerade die Sechsmonatskurven, die mir zeigen, wie ich meine Gewohnheiten in der Realität anpasse.

Du kannst deinen Schlaf natürlich auch ohne Tracker analysieren, in den du beispielsweise dokumentierst, wann du ins Bett gehst, wann du aufstehst, wie du qualitativ geschlafen hast (ob du dich erholt fühlst beispielsweise). Lohnenswert ist es auch, deine Gewohnheiten am Tag mitzudokumentieren. Besonders, was du abends isst, ob du kognitiv sehr beansprucht warst oder viel Screen Time hattest. Ich empfehle dir, dass du möglichst annahmenfrei deinen Schlaf und deine Routinen beobachtest, so erkennst du Muster und kannst gezielt darauf einwirken.

Ein kleinen Schritten zu mehr Lebensqualität

Nachdem du deine Muster kennst, kannst du schrittweise neue Gewohnheiten einführen. Oft ist es sinnvoll, mit kleinen Schritten anzufangen, neue Routinen einzubauen und sie konsistent aufrechtzuerhalten, wenn sie dir guttun. Siehe dazu auch «Atomic Habits» von James Clear. Ansatzpunkte können sein:

1. Schlafhygiene

  • Konstanter Schlafrhythmus: Jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett gehen und aufstehen – auch am Wochenende.

  • Schlafdauer beachten: Die ausreichende Anzahl Stunden Schlaf für dich finden.

  • Einschlafrituale entwickeln: Rituale wie Lesen, Meditieren oder ein warmes Bad können den Körper auf den Schlaf vorbereiten.

  • Koffein und Alkohol vermeiden: Koffein nachmittags und Alkohol vor dem Schlafengehen stören deine Schlafarchitektur.

2. Lebensstil

  • Regelmässige Bewegung: Sport verbessert die Schlafqualität, sollte aber nicht zu spät am Abend stattfinden, um Überstimulation zu vermeiden.

  • Ausgewogene Ernährung: Vermeide schwere, fettige Mahlzeiten am Abend. Leichte Snacks wie Bananen oder Nüsse können den Schlaf unterstützen.

  • Hydration: Trinke tagsüber ausreichend Wasser, aber vermeide übermässiges Trinken kurz vor dem Schlafengehen, um nächtliches Aufwachen zu verhindern.

3. Schlafumgebung

  • Dunkelheit: Eine dunkle Umgebung fördert die Melatoninproduktion. Verdunklungsvorhänge oder eine Schlafmaske können helfen.

  • Ruhe: Reduziere Lärm, z. B. durch Ohrstöpsel oder eine Geräuschmaschine mit weißem Rauschen.

  • Angenehme Temperatur: Die optimale Raumtemperatur für Schlaf liegt bei 16–19 °C.

  • Auf dich angepasste Matratze und Bettwäsche: Ein ergonomisches Bett und atmungsaktive Materialien tragen erheblich zum Schlafkomfort bei.

  • Bildschirmfreie Zone: Reduziere blaues Licht von Smartphones, Tablets und Fernsehern mindestens eine Stunde vor deinem Schlaf.

4. Mentale Gesundheit

  • Stressmanagement: Stresshormone wie Cortisol können den Schlaf stören. Entspannungstechniken wie Meditation, Yoga oder Atemübungen helfen.

  • Schreiben vor dem Schlafen: Gedanken in einem Tagebuch zu notieren, kann dir dabei helfen, deinen Kopf freizubekommen.

  • Achtsamkeit und Dankbarkeit: Positive Gedanken und eine Abendroutine können den Geist beruhigen.

Was spricht dich aus diesen Möglichkeiten an?

Ich fand es bei mir sehr spannend zu beobachten, wie schwer verdauliche Lebensmittel, die ich abends esse, meinen Schlaf stören. Danach lernte ich, dass die Verdauung schwerer Mahlzeiten den Körper derart beansprucht, dass die Herzfrequenz und Körpertemperatur steigt. Dies erschwert das Eintreten in die Tiefschlaf- und REM-Phasen, die für die Erholung entscheidend sind.

Was mir auch hilft, ist, früh ins Bett zu gehen. Die Schlafstunden vor Mitternacht zahlen mehr auf meine Erholung ein, wie wenn ich morgens länger schlafe. Denn die Tiefschlaf- und REM-Phasen häufen sich vor allem in den ersten Schlafstunden, wenn ich früh einschlafe. Oder wenn ich in der Osteopathie war und wieder «im Lot bin», schlafe ich auch bedeutend besser.

Was wirkt bei dir am besten?

Was ich noch anmerken möchte: Mit tiefgreifenden Schlafstörungen kenne ich mich nicht aus, dazu solltest du Schlafexpert:innen konsultieren. Ich habe mich lediglich für meine eigene Entwicklung mit meinem Schlaf befasst, was heisst, dass diese Erkenntnisse nicht zwingend auf dich anwendbar sein müssen.

Schlaf ist deine unterschätzte Superpower

Ich bin überzeugt: In unserer Gesellschaft, in der Produktivität das Mass aller Dinge ist, haben wir guten Schlaf verlernt. Weil wir ihm zu wenig Wichtigkeit beimessen. Und Stress zu einem Statussymbol geworden ist. Viel Schlafen, früh ins Bett gehen ist uncool. Ich hingegen mag es, viel zu schlafen. Ich mag Menschen, die ihr bestes Leben leben wollen. Weil wenn ich erholt bin, erreiche ich was, was mir wichtig ist, viel eher. Auch ohne etwas erreichen zu wollen, bin ich mehr bei mir.

«Man darf vor lauter Optimieren nicht vergessen, das Leben zu leben» warf neulich jemand bei einer spannenden Lunchdiskussion zu Recht ein. Stimmt. Aber auch hier: Meine 100%-Statistiken sind nicht für die Statistik, sondern weil ich viel mehr ich bin, seit ich meinen perfekten Schlafrhythmus gefunden habe. Und dieses Gefühl ist unschlagbar. Schlaf gut!

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